Einzelausstellung
Gerlinde Zantis
04.03 – 22.04.2022
Vernissage: Freitag 04.03.2022, 18.30 bis 22.00 Uhr
Zur Eröffnung spricht um 19.30 Uhr Dr. Dirk Tölke, Kunsthistoriker
Es gelten die aktuellen Hygieneregeln.
Liebe Freundinnen und Freude der Galerie,
wir laden Sie herzlich zur Ausstellung von Gerlinde Zantis in die Galerie Freitag 18.30 ein.
In Zeiten von Geoästhetik, virtueller Realität, medialer Präsenz und Dauerbefeuerung ist die Entscheidung für handgemachte Kunst und menschenleere, entlegene Landschaften eine Darstellungsabsicht abseits des Mainstreams. Für eine Flucht in eine heile romantische Welt zu karg, für den Rückzug in eine phantastische Idylle zu wirklichkeitsnah, verschließen die Bilder von Gerlinde Zantis nicht die Augen vor den Naturgegebenheiten, sondern lassen vielmehr die Darstellung einer möglichen, von menschlichen Relikten weitgehend befreiten Biosphäre erlebbar werden, in der Stille, Weite und Intensitätssteigerung zu finden sind. Sie erzeugt Landschaften ohne Eventcharakter und konfektionierte Stimmung, die ein von Ablenkungen freies sich Einlassen auf Natur möglich machen, die noch nicht verloren ist, aber die gesucht und aufgesucht werden muss. Sie wird durchaus mit Medien wie der Fotografie erfasst, aber auch persönlich empfunden und soll unvoreingenommen erscheinen. Bereinigt, komponiert, gesteigert, markant gemacht, um einem erkundenden Blick einen Freiraum zu bieten, der Strich für Strich entsteht. Vielleicht entschält in eine Idee von Ursprünglichkeit und Wahrhaftigkeit, in ein Erlebnis von Geheimnis und Dimension, die das Staunen wieder möglich machen und jenseits der Beherrschung der Natur ihre aus langem Studium persönlich vermutete Eigengesetzlichkeit zum Ausdruck bringt. Das scheint mir denkbar und sichtbar.
Gerlinde Zantis beherrscht als Zeichnerin das ganze Spektrum von der Bleistiftskizze bis zum farbigen Pastell. Aus der händischen Linie und flächig verriebenen Partien entstehen in tagelanger Arbeit imposante großformatige Bildwerke. In ihren neueren Bildern mischen sich zusehends unaufdringliche blaue, bräunliche und grüne Farbtöne in die realistische Darstellung von Landschaftsräumen in Südostfrankreich. Insbesondere die Départements Ardèche und Gard sind seit Jahrzehnten ihre Erkundungsräume für die Darstellung von Wäldern und Flüssen in Kalksandsteingebirgen. Die gewaltige Formation der für Kanufahrer beliebten Flusstäler und die dichte Urwüchsigkeit der für einsame Spaziergänge lockenden Baumbestände bieten mitten in Europa noch einen direkten Zugang zur scheinbar unmittelbaren Naturerfahrung.
In ihren Bildern bieten sich menschenleere und tierfreie Szenarien, in denen man den Horizont oft nicht sieht, die Verläufe von Wegen und Flüssen in Abknickungen und Raumstaffelungen versteckt erscheinen. Die häufig mondhelle Nachtbeleuchtung entrückt die Wirkung ins zwielichtige und nähert sie den Seherfahrungen von Filmkulissen an. Von Western bis Science-Fiction erscheint das Auftauchen von irgend etwas hinter der nächsten Biegung oder im nächsten Moment möglich. Diese Spannung resultiert aus der kompositorischen Gliederung der Bildräume und aus der fahlfarbig irrealen Vollmonddurchlichtung, die weder blauen Himmel noch gleißende Taghelle zeigt, aber glaubhaft erscheint.
Allerdings spielt hier bereits die Erfahrung von Fotografien hinein, die als Ergebnis der Kameraoptik nicht wie das Auge situativ die Helligkeit adaptieren können. Dennoch sind neben Skizzen Fotografien eine wesentliche Stütze für die Bildfindungen. In die kalten Flüsse begibt sich die Künstlerin mit Neoprenanzug und lässt sich mit einer Rettungsweste treiben, um aus der Perspektive der Wasseroberfläche abgeschiedene Felskantensequenzen zu erkunden und zu fotografieren. Das geht nicht immer ohne Begleitung und nur im Umfeld touristischer Stoßzeiten in mühselig zu erreichenden Gebieten.
Aus den Fotografien erzeugt sie meist Vorlagen durch Entfernen von menschlichen Zeugnissen und durch Collagen von Landschaftselementen aus unterschiedlichen Quellen, die die Wirkmacht der Landschaftsräume intensivieren. Nichts Überflüssiges drängt sich dem Betrachter in den Bilderfindungen auf. In der Stille dieser Örtlichkeiten spielt Zeit keine Rolle. Ein Bedürfnis nach historischer Einordnung findet keinen Widerhall. Mehr typisiert, als idealisiert, wird hier unspektakulärer Wildwuchs in durchaus von Wanderern genutzten öffentlich zugänglichen Gefilden auf eine Weise arrangiert, die beeindruckt durch eine den menschlichen Maßstab überschreitende Natur, die in ihrer Wirkung schiere Anwesenheit beim Betrachter hervorruft.
Weder ist man beängstigt noch von sensationellen Sehenswürdigkeiten der Natur überwältigt. Weder Zivilisationskritik oder Verwahrlosung noch werbewirksame Hochglanzästhetik werden aufgerufen. Ihre Landschaften bieten sich als Kulissen für persönliches Erleben, für gespannte Erwartungen, für intensive Momente an. Kleinigkeiten wie eine Wolke, die wie Mondersatz erscheint und seltsam gespiegelt wird, fordern die Phantasie heraus und reichern die von Ortskenntnis gezeichnete Wirklichkeitserfassung mit einem Hauch von Traumwelt oder Kulissenwirkung für Film oder Onlinerollenspiele an. Auch dort ist Sehnsucht und Abenteuer in kargen Landschaften verortet, lenkt vom Handlungsstrang weniger ab, betont das Verhältnis von Person und Umfeld. Die Landschaft wird nicht betrachtetes Gegenüber, sondern Umfeld, in dem Gefühle unabgelenkter Empfindung möglich werden. Man fühlt sich anwesend und eingebettet. Stellvertretend vermögen die in ihren stimmigen Lichtverhältnissen und glasklar photorealistisch spiegelnden Wasser- oder differenziert nuancierten Felsoberflächen in den Landschaften von Gerlinde Zantis ahnungsreich von einem lebendigen Naturleben zu erzählen, das einen umgibt. Das Wasser ist in Bewegung. Die Bildausschnitte sind angeschnitten, geschichtet, ohne Totale und Wanderwegstruktur. Die Umsetzung macht diese Pastellzeichnungen ungewöhnlich und erweitert den Blick, der zugleich trainiert wird für eine sorgfältige Wahrnehmung der eigenen Person im Verhältnis zur Natur.
Es gelingt Gerlinde Zantis den Massentourismus aus der Bildfindung herauszulassen und eine parallele Gegenwart sichtbar zu halten, in der auch das nicht Gefällige gefallen kann, das wenig kultivierte Gewachsene schön sein kann. Gewachsen ist der ästhetisierende Bildanspruch der Künstlerin, den sie durch ihre ungewöhnliche Umsetzung herausfordernd filmstillnah einlöst. Die samtige Materialität der Pigmente verschleiert die Handschrift, die die Gestik der Zeichnungen noch bietet. Der Betrachter wird optisch getäuscht, aber nicht enttäuscht, denn die großformatigen Pastellzeichnungen sind mehr als realistische Abbilder.
In ihren kleinformatigen, durchschatteten Werken rhythmisiert der variable Spalierstrich die konstante Analyse der Landschaftsstruktur im Prozess des Zeichnens, die der Schnappschussaugenblick der Kamera so nicht einlösen kann. Nachtfotos vermögen die Seherfahrung nicht korrekt abzubilden. In all den Halbtönen dämmert einem beim Betrachten, wie bereichernd Sehen und die sinnliche Erfassung der Welt abseits aller lärmenden Effekte sein kann. Gerlinde Zantis bietet dem Betrachter mit ihren detailreichen Werken vielfältige Möglichkeiten sich darauf einzustimmen.
(Text: Dr. Dirk Tölke, Kunsthistoriker)
Herzliche Grüße
Robert Mertens
Galerist